TECHNIK - MIMESIS - FETISCH

Wie ist Gesellschaft möglich?


(Fassung vom 17.10. 2015)

 

Eine seltsame Frage: wie Gesellschaft möglich sein soll. Ist denn „Gesellschaft“ nicht automatisch da, wenn Menschen kommunizieren, d. h. sich austauschen  und verständigen? Müssen wir etwa befürchten, dass sie wie ein kaputter Motor ins Stocken kommt und einfach stehen bleibt? Oder gar in ihre Einzelteile zerfällt?

Ähnlich seltsam klingt die Frage, wie überhaupt ein „Ich“ möglich ist. Die Neurowissenschaft ebenso wie auch der Buddhismus behaupten zwar, dass es keines gibt. Dennoch gehen wir im Alltag weiterhin einfach davon aus, dass es existiert.

Warum soll man sich über diese Fragen den Kopf zerbrechen?

Manchmal sind es gerade ungewohnte, „den Kopf zerbrechende“ Fragen, die das Denken ebenso wie die Praxis voranbringen.

Kommunikation ist „zwiefältig“

„Welt“ – was immer das sein mag – ist für unseren reflektierenden Verstand überkomplex. Wirklich ist für uns immer nur das, was der Verstand, unser „Ich“, sich be-greifbar macht. Wir gehen meist davon aus, dass wir es jeweils mit Phänomenen zu tun zu haben, die sich als ganze begreifen lassen – im Alltag müssen wir das auch und können gar nicht anders. Aber dabei vergessen wir leicht, dass wir doch immer nur Teilaspekte zu fassen bekommen. Diese „Seinsvergessenheit“ (Heidegger) kann fatale Folgen haben.

Dass unser Verstand immer nur Teilaspekte erfasst, gilt auch und gerade für das „Zwischenmenschliche“, also für jenes wenig verstandene Phänomen der Kommunikation. Kommunikation, der zwischenmenschliche Austausch mittels Symbolen, ist jenes schwer greifbare Geschehen, das „Gesellschaft“ ebenso wie das „Ich“ überhaupt erst möglich macht – so die These, die ich hier vorstellen möchte. Sich dieses Geschehen be-greifbar zu machen – darum geht es mir in diesem Artikel.

Was bedeutet eigentlich Kommunikation für unser Mensch-Sein? Welche Rolle spielt sie z. B. für die Krisen der heutigen Welt? Ist sie lediglich neutrale Technik? Oder ist sie, worauf etwa die Krisen der Finanzwelt hindeuten, mittlerweile vielleicht selber zum Teil des Problems geworden? Wenn wir das genauer klären wollen, so hoffe ich zeigen zu können, dann bleibt uns paradoxerweise nichts anderes übrig als das Phänomen „Kommunikation“ aus zwei gegensätzlichen Perspektiven zu betrachten. In anderen Worten: unser reflektierender Verstand, das „Ich“, kann zwischenmenschlichen Austausch mittels Symbolen immer nur „zwiefältig“ betrachten, um einen Begriff Martin Bubers zu gebrauchen: einmal bilden Symbole die (sichtbare) Form für den Austausch – und dann dienen sie ihm wieder als sein (unsichtbares) Medium.
Sehen wir uns dieses Paradox genauer an.

o      Auf der Oberfläche, der Erscheinungsebene, vollzieht sich zwischenmenschlicher Austausch in der Form von Symbolen; das können z. B. Worte sein oder Gesten, aber auch Geld. Sie besitzen aus der Sicht von Beobachtern Be-deutung, „deuten“ also auf bestimmbare Gegenstände, Sachverhalte oder Werte und tragen (scheinbar) „Information“ in sich. Mit Worten lassen sich daher (scheinbar) Informationen festhalten und von einem Sender auf einen Empfänger übertragen; beim Geld gilt das Gleiche für abstrakten Wert, d. h. für „Wert an sich“. Kommunikation ist so gesehen, an ihrer Oberfläche, bloße Technik. „Oberfläche“ ist ein unverzichtbares Moment von Kommunikation; es geht hier nicht darum, sie als „sekundär“ gegen etwas „Wichtigeres“ auszuspielen.

o      Aus einer funktionalen Sicht dagegen, und das übersehen wir leicht, dienen uns Symbole (oder Netzwerke von Symbolen) als neutrales Medium für den Austausch, das sich in eben diesem Austausch überhaupt erst bildet. Aus dieser Sicht ist Kommunikation Begegnung, ein mimetisches Spiel, d. h. eine Art schöpferisches Tanztheater, in dem wir Akteure und Zuschauer gleichzeitig sind. Diesen für den Alltagsverstand nicht leicht verdaulichen Gedanken möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen.

Etwa so wie das Licht das unsichtbare Medium dafür bildet, dass wir überhaupt etwas Konkretes wahrnehmen können, bilden (sprachliche) Symbole die neutrale Folie dafür, dass wir in der Vielfalt der Sinnesphänomene überhaupt „Objekte“ unterscheiden, das heißt , dass wir sie als Mit-sich-selbst-Identisches denken und wissen können – mit dem Unterschied allerdings, dass wir, wie schon gesagt, durch unser kommunikatives Handeln dieses Medium rekursiv gleichzeitig auch immer wieder neu erschaffen.

Den Aspekt der ständigen Neuerschaffung des Mediums kann man sich am Bild von Fluss und Flussbett deutlich machen. Das fließende Wasser (sprich: der Fluss kommunikativen Handelns) gräbt sich sein Bett, das umgekehrt wieder das Wasser lenkt… ohne ihm dabei aber die Freiheit zu rauben, sich spontan immer wieder neu sein Bett zu graben. Das Flussbett, das unser Denken und (kommunikatives) Handeln lenkt, ist die Haltung, die wir – ob wir uns das klar machen oder nicht – im Fluss des Lebens immer schon eingenommen und ver-körpert haben müssen, um überhaupt denken und uns mit Anderen austauschen zu können; das heißt, durch den Gebrauch von Sprache (bzw. von Geld) haben wir uns „immer schon“ (unhintergehbar) in dem verortet, was für uns als Welt auftaucht. Und gleichzeitig formen wir umgekehrt durch unser kommunikatives Handeln aber auch immer wieder unsere Haltung.

Wir haben also zwei Perspektiven auf Kommunikation zur Verfügung, die ich im Folgenden die „technische“ und die „mimetische“ nenne. Beide stehen orthogonal (quer) zueinander, d. h. sie lassen sich nicht auf einander reduzieren; wenn wir von einer in die andere wechseln, dann überqueren wir eine imaginäre, d. h. nicht genau bestimmbare Grenze. Dennoch ergänzen sich beide Seiten aber auch, sie gehören untrennbar zusammen: immer, wenn wir die eine einnehmen, wird die andere zum unsichtbaren – aber notwendigen – Hintergrund. Ähnlich wie bei einem Kippbild bekommen wir nie beide gleichzeitig zu fassen.

Wir können auch sagen: Beide Seiten bilden eine Kontextur, um diesen Begriff von Gotthard Günther zu gebrauchen. In einer Kontextur gelten die Regeln der klassischen Logik: entweder etwas ist der Fall oder es ist nicht der Fall, tertium non datur.

Wir können Kommunikation, das „Zwischenmenschliche“ also nie als ganze beobachten – obwohl wir beide Sichtweisen brauchen, um uns als Menschen, als lebendige Wesen zu reproduzieren.

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