Achtsamkeit und Systemtheorie

 

 

Der Begriff "Achtsamkeit" ist heute in aller Munde. In der Systemtheorie kommt er bisher aber kaum vor. Dabei hätte er das Potential, ihren Diskurs voranzubringen.

Dass Achtsamkeit in der Systemtheorie bisher als Thema kaum vorkommt, ist kein Zufall, wird ihr Diskurs doch von der Luhmannschen Unterstellung dominiert, dass es „Systeme gibt”. Achtsamkeit kann dann nicht mehr beobachtet werden, sie verschwindet im blinden Fleck.

Wenn man statt dessen – wie auch Dirk Baecker jetzt vorschlägt – den Fokus auf Beobachter legt und beobachtet, wie sie Systeme konstituieren, dann kann Achtsamkeit in den Blick kommen, und zwar als „Haltung“ (= blinder Fleck) des Beobachters. Das hieße aber, das (nie zu Ende geführte) Projekt Maturanas wiederaufzunehmen: Beobachten nämlich als eine Operation lebender Systeme zu sehen und den menschlichen Beobachter als ein lebendes System zu erklären (wobei „erklären“ heißt, als Beobachter anderen Beobachtern einen entsprechenden generativen Mechanismus vorzuschlagen…).

Der menschliche Beobachter ist aus dieser Sicht ein Doppeltes: Er ist nicht nur ein lebendes System, ein homo sapiens sapiens. Er ist ZUGLEICH auch ein immer schon vergesellschafteter, in-Sprache operierender Beobachter, der sich im Inszenieren und Erzählen von Geschichten konstituiert und damit letztlich aus „reinen Relationen” be- bzw. ent-steht. Das ist ein Paradoxon, denn es ist erst einmal nicht erkennbar, wie diese „reinen Relationen” immer wieder in die Physis eines lebenden Systems so ein-treten können (re-entry), dass es seine Autopoiesis bewahren kann.

Achtsamkeit lässt sich, so schlage ich vor, als jene Haltung von Beobachtern beobachten, die sich bewusst diesem Paradoxon stellen, d.h. ohne durch fest-stellendes Beobachten gleich wieder nach dem nächsten Rettungsanker zu greifen. Das heißt: eine Haltung von Beobachtern, die sich der Frage stellen, wer sie „eigentlich sind“ („Wer bin ich? Wer sind wir? Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein?“). Das „Ich“ erscheint dann als ein „rekursiver Operator von unendlicher Tiefe“ (Heinz von Foerster) oder wie ein Zen-Koan – es geht letztlich nicht darum, eine definitive Antwort zu finden (es gibt sie nicht) als vielmehr darum, überhaupt bewusst „in“ dieser Frage zu sein.

Achtsamkeit bedeutet dann systemtheoretisch gesehen das Kultivieren eines „Bewusstsein(s) für den Hintergrund, für das Nichts, aus dem die Dinge entstehen“ (L. Kauffman). Man lernt, sich selbst als Beobachter beim Beobachten zu beobachten: das dabei auftretende Oszillieren zwischen Erkennen und Wollen (Fremd- und Selbstreferenz) geschehen zu lassen, d. h. sich als Beobachter von dem Oszillieren nicht mitreißen zu lassen; vielmehr den Unterschied zwischen dem Beobachteten, der Tätigkeit des Beobachtens und dem, der all dies beobachtet aufrechtzuerhalten; dabei aber die BLOßE MÖGLICHKEIT des Zusammenstimmens beider Seiten im „Sinn“ zu behalten („Möglichkeits-Sinn“) – um dann AUS DIESER HALTUNG HERAUS Unterschiede so zu unterscheiden, dass sie „allgemein mitteilbar“ (Kant in der „Kritik der Urteilskraft“) werden; das heißt so, dass sich mit minimalem Aufwand, also mit Leichtigkeit, eine maximale Zahl von Anschlussmöglichkeiten eröffnet. Beim viel zitierten, aber wenig verstandenen „Imperativ“ Heinz von Foersters („Handle stets so, dass sich eine größere Zahl von Möglichkeiten ergibt“) geht es genau darum.

So gesehen bedeutet Achtsamkeit, durch die Art seines Beobachtens (= dialogische Beobachter-Haltung) in einer Beobachtung dritter Ordnung bewusst einen MÖGLICHKEITSRAUM zu schaffen – eine „MATRIX WHICH EMBEDS“ (Heinz von Foerster), die neue Anschlussmöglichkeiten und neue Muster erkennbar werden lässt, durch die sich, wenn sie realisiert werden, rückwirkend dann wiederum die Bedingungen des Beobachtens erweitern.

Damit wird aber noch etwas Anderes deutlich: Solche Beobachtungen dritter Ordnung, ob nun bewusst oder unbewusst vorgenommen, bilden letztlich die NOTWENDIGE BEDINGUNG FÜR DIE MÖGLICHKEIT MENSCHLICHEN BEOBACHTENS (= „Objekte“ identifizieren) ÜBERHAUPT. Maturana (Biologie der Realität, Fr. /M. 2000, S. 69) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Substrat für die Realisierung sprachlicher Äußerungen“, das wir aus epistemologischen Gründen annehmen müssen, obwohl wir es nicht beobachten, d. h. nicht beschreiben können.

Genau hier könnte / müsste dann aber der Luhmann’sche Kommunikationsbegriff anschließen, also die von Maturana so vehement abgelehnte „Autopoiesis sozialer Systeme“. Erst dieser Anschluss – das Muster, das Maturanas und Luhmanns Beobachten verbindet – macht das Beobachten des Beobachtens vollständig.