Was heißt es, Mensch zu sein

und kein Roboter?

Oder: Warum gerade heute der Sinn für Ästhetik so bedeutsam ist

Wir Menschen der Moderne sind offenbar dabei, blind und in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die Wurzeln unserer eigenen Existenz zu beschädigen. Mit unserem eigenen Handeln verschleißen wir Stück für Stück das biologische, psychische und soziale Gewebe, das unsere menschliche Existenz überhaupt erst möglich macht.

 

Die gängigen Schuldzuweisungen – etwa „der“ neo-liberale Kapitalismus, „die“ Digitalisierung etc. – greifen hier zu kurz. Ich schlage statt dessen vor, den Schlüssel für dieses offensichtlich irrationale Verhalten in der Sprache zu suchen. Oder besser: in dem Sprach-Spiel, in dem wir Menschen der Moderne unsere Lebensweise gestalten. Worte sind nicht einfach nur Mittel zur Übertragung von Informationen, sie sind – kulturell gelernte – Unterscheidungsgewohnheiten von Beobachtern, Werkzeuge des Denkens. Das jeweilige Ergebnis des Denkens ist nicht von der Form des Denkens zu trennen. Denn wie in materiellen Artefakten so ist auch in der Sprache Erfahrung „aufgehoben“, die ihrem Benutzer im Moment der In-Gebrauchnahme aber nicht mehr zur reflexiven Verfügung steht; sie bildet vielmehr seinen – wenngleich für die Erfahrung notwendigen – blinden Fleck. Wie wir die Welt begreifen, das hängt von unserem Sprach-Spiel ab.

 

Die zentralen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Recht) werden heute von Sprach-Spielen dominiert, die ihr Wissen linear produzieren; d. h. sie unterstellen – in der Regel unreflektiert – eine „objektive“, beobachter-unabhängige Realität. Die Quelle der gegenwärtigen globalen Probleme, der Ort, an dem sie sich sozusagen zusammenbrauen, kann so aber niemals in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen, er bleibt im blinden Fleck. Es bräuchte dazu ein reflexives Sprach-Spiel, eines, das den unvermeidlichen blinden Fleck immer schon mit einkalkuliert. Nur so haben wir noch die Chance, den Umbrüchen der sich globalisierenden Zivilisation „auf Augenhöhe“ zu begegnen, d. h. so, dass wir – wer immer auch dieses „Wir“ dann sein mag – nicht mit unserem Handeln die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.

 

Dabei kommen wir nicht drum herum, uns einer Frage zu stellen, die Vielen heute eher als nebulös und antiquiert gilt: der Frage nämlich, was genau es eigentlich bedeutet, Mensch zu sein – kein Tier, aber auch keine künstliche Intelligenz, kein Roboter. Es geht also um Anthropologie. Gewöhnlich unterscheidet man empirische und philosophische Anthropologie. Erstere ist gebunden an bestimmte Disziplinen wie Biologie, Soziologie etc., bekommt aber gerade deshalb das, was das Mensch-Sein ausmacht, nicht in den Blick. Letztere dagegen macht sich zwar unabhängig von Disziplinen einen Begriff vom Mensch-Sein, greift dafür aber auf transzendente, d. h. durch Erfahrung nicht überprüfbare Annahmen zurück. Zwischen beiden Perspektiven klafft bis heute ein scheinbar unüberbrückbarer Graben. Um ihn geht es mir hier.

Eine Meta-Perspektive, wenn sie denn überhaupt denk-bar ist, kann nur vom alltäglichen menschlichen Leben ausgehen, dem A und dem O, dem Anfang und dem Ende aller Erfahrung – und davon, dass diese Erfahrungen immer von einem „Beobachter“ gemacht wird. „Ein Beobachter ist ein menschliches Wesen, ein lebendes System, das Unterscheidungen treffen kann und das, was er unterscheidet, als Einheit abgrenzen kann, d. h. als eine vom Beobachter selbst verschiedene Größe. Der Beobachter kann dies ebenso in rekursiver Weise mit seinen eigenen Handlungen und Gedanken tun und dabei stets so handeln, als ob er außerhalb der Situation stünde, in der er sich befindet, bzw. als ob er von dieser verschieden wäre. (…) Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter zu einem anderen Beobachter gesagt, der er selbst sein kann.“ (Maturana 1982, s. 276)

 

Wir müssten der Erfahrung des Beobachters allerdings eine Form geben, die sie einerseits mit der von Lebewesen generell und andererseits mit dem Operieren von Maschinen vergleichbar macht, um dann Unterschiede erkennbar werden zu lassen. Genau das leistet die Kybernetik.

 

 

 Fortsetzung siehe Datei-download

 

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